Forschungsprojekte E. Wagner-Durand
Furcht und Angst in Nord-Mesopotamien
Perspektiven und Fallbeispiele aus der ersten Hälfte des 1. vorchristlichen Jahrtausends
Emotionen begleiten uns, sind Teil unseres Selbst und unserer Persönlichkeit. Sie beeinflussen und steuern unsere Entscheidungen, sie bilden die Basis für reaktive Muster und Handlungsoptionen. Emotionen werden im wahrsten Sinne des Wortes gefühlt, und trotzdem, oder gerade deswegen, in einer rezenten und eurozentristischen Weltsicht misstrauisch beäugt; ratio und emotio, cogito und sentio werden zu Oppositionen: das eine gilt als erstrebenswert und das andere als beherrschensnotwendig. Dieser Kant’schen Abneigung zum Trotz sind wir Menschen in unseren Entscheidungen, und in dem wie sich als unser Selbst konstituiert, wesentlich, so Antonio Damasio, von unseren Emotionen abhängig: „Ich fühle, also bin ich“. Emotionen beeinflussen unser Denken, unsere Entscheidungen, unsere Handlungen, unsere sozialen Beziehungen, unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit.
Kaum etwas ist demnach menschlicher und damit von immanenter Dringlichkeit für eine anthropologische Forschung als Emotionen. Sie rücken vor allem dann ins Blickfeld archäologischer, historischer, altertumskundlicher und soziologischer Untersuchungen, wenn der These folgt, dass ihre Auslöser, ihr Wahrnehmung, ihr Ausdruck und ihre Bewertung nicht konstant, sondern durch Zeit, Raum und Gesellschaften veränderlich sind und hinsichtlich wichtiger Elemente sozialer Konstruktion unterliegen. Demzufolge ist die unter anderem diachrone und transkulturelle Erforschung von Emotionen vergangener Kulturen, ihrer Auslöser, ihrer Bewertungen und ihrer Ausdrucksformen fast zwingend. Welchen Gewinn versprechen wir uns aus der altertumskundlichen Emotionsforschung? Emotionen sind bio-kulturelle Prozesse und emotionales Handeln Kulturtechniken. Da der Mensch ein soziales Wesen ist, lernt er in Gemeinschaft und macht Erfahrungen in Gemeinschaft. Diesbezügliche Erfahrungen und Bewertungen schreiben sich ins Gedächtnis ein und werden bewusst oder unbewusst wieder abgerufen. Handlungen mit und um Emotionen sind demnach auch sozial und kulturell bedingt. Altertumskundliche Emotionsforschung sollte also fragen, welche Handlungsmechanismen, welche Ausdrucksformen von Emotionen materiellen sowie schriftlichen Niederschlag finden. Im Hinblick auf diachrone Betrachtungen steht die Frage nach den emotionalen Gemeinschaften und Regimes, nach den Gründen ihrer Formation und Auflösung, ihrer Berechtigung und Funktionen im Vordergrund.
Subthemen (Beispiele):
- Emotion / Gefühl / Furcht / Angst - Eingrenzung und Abgrenzung eines Forschungsgegenstandes
- Begriffe historischer und soziologischer Emotionsforschung: Emotionale Gemeinschaften / emotional communities (Rosenwein); Emotives und Emotionales Regime (Reddy); Emotionales Klima (Barbelet)
- Methodische Herausforderungen und Quellen(-Kategorien)
- Architektur und Raumordnung als Stimuli der Angst
- Coping Strategien: Archäologische Fallbeispiele
- Emotionsausdruck in der Visuellen Kultur
- Phänomenologie der Furcht
- Emotionen als Primemover: Überlegungen zum emotionalen Regime der neuassyrischen Zeit vor dem Hintergrund des emotionalen Klimas Mesopotamiens